Harald Schmid reflektiert über Claudia Roths Vision einer neuen Erinnerungskultur: „Viele von uns waren betroffen und schockiert
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Harald Schmid reflektiert über Claudia Roths Vision einer neuen Erinnerungskultur, die auf heftige Kritik stieß. Er beschreibt, dass viele von den Inhalten des Rahmenkonzepts betroffen und schockiert waren. Roths Ansatz, die Kategorisierung von Erinnerungskultur zu erweitern, stößt auf Widerstand, insbesondere in Bezug auf die Aufarbeitung der NS-Verbrechen und die SED-Diktatur. Schmid betont die Bedeutung einer klaren Fokussierung auf diese historischen Ereignisse und warnt vor der relativierenden Tendenz, die in Roths Konzept sichtbar wird.
Harald Schmid reflektiert über Claudia Roths Vision einer neuen Erinnerungskultur: „Viele von uns waren betroffen und schockiert“
Die Diskussion über Erinnerungskultur in Deutschland hat in den letzten Monaten an Intensität gewonnen, besonders durch die Vorschläge von Claudia Roth, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Harald Schmid, ein angesehener Politikwissenschaftler, bringt eine kritische Perspektive in die Debatte ein und betont die Notwendigkeit einer fundierten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Der massive Widerstand gegen Roths Rahmenkonzept Erinnerungskultur hat sowohl innerhalb der Gedenkstätten als auch in der breiten Öffentlichkeit Besorgnis ausgelöst, da viele die Befürchtung äußern, dass die Aufarbeitung von NS-Verbrechen und anderen historischen Ungerechtigkeiten in den Hintergrund gedrängt wird. Schmid, gemeinsam mit anderen Historikern und Gedenkstättenleitern, reflektiert über die jüngsten Entwicklungen und die Herausforderungen, die die zukünftige Gedenktätsarbeit prägen werden.
Die Vorschläge von Claudia Roth
Das von Claudia Roth vorgeschlagene Konzept sah vor, die Gedenkstättenkonzeption des Bundes zu aktualisieren und verschiedene „Förderbereiche“ einzuführen, darunter Kolonialismus und Migration. Diese Erweiterungen zielen darauf ab, eine inklusivere und vielfältigere Sicht auf die deutsche Geschichte zu fördern.
Jedoch beinhalteten diese Vorschläge auch die Sorge, dass die zentrale Bedeutung der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der SED-Diktatur geschmälert werden könnte. Die Ablehnung der ursprünglichen Planung wurde sowohl von Gedenkstättenverbänden als auch von Historikern stark betont, die in Roths Ansatz eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Erinnerungskultur sahen.
Die Reaktion auf das Rahmenkonzept
Am 30. April fand ein Vorbereitungstreffen zum Runden Tisch im Kanzleramt statt, das unter anderem von Schmid und anderen betroffenen Vertretern der Gedenkstätten besucht wurde. Die Reaktionen waren überwältigend negativ; viele waren schockiert von den Vorschlägen, die den Eindruck einer geschichtsrevisionistischen Tendenz erweckten. Die Gedenkstättenverbände äußerten direkt, dass sie das Konzept als unhaltbar empfanden und forderten eine klare Rückbesinnung auf die dokumentierte Geschichte der NS-Verbrechen.
In den darauf folgenden Wochen äußerten Historiker und Gedenkstättenleiter in Medien Berichte über die massiven Proteste und die negative Rückmeldung, die Roths Konzepte zur Erinnerungsgeschichte in der Öffentlichkeit hervorriefen. Dies führte letztlich dazu, dass Roth und ihr Team erkannten, dass eine Überarbeitung nötig war.
Ein einzigartiger Widerstand
Die breite Abneigung gegen das Rahmenkonzept war nicht nur auf den Inhalt angewiesen, sondern auch auf die unzureichende Beteiligung der Gedenkstätten selbst. Viele fühlten sich nicht ausreichend in den Entscheidungsprozess einbezogen und sahen die Vorschläge als einseitig und nicht durchdacht. In Anbetracht der jahrzehntelangen Arbeit, die zur Bildung der Gedenkstätten geführt hatte, war der Eindruck, dass nun eine plötzliche Umstrukturierung in Betracht gezogen würde, tief verstörend.
Die Rolle der Gedenkstätten
Schmid betont die wesentliche Rolle der Gedenkstätten in der Erinnerungskultur Deutschlands. Diese Einrichtungen sind nicht nur Stätten der Gedenküberlieferung, sondern auch Orte, an denen Bildung und Aufklärung stattfinden. Sie vermitteln Wissen über die Verbrechen des Nationalsozialismus und fördern eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.
Die Sicherstellung einer richtigen und umfassenden Aufarbeitung ist dringend notwendig, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Überlebende und Zeitzeugen immer weniger werden. Die Gedenkstätten stehen vor der Herausforderung, innovative Ansätze zu finden, um die nachfolgenden Generationen zu erreichen und sie für die Themen der Vergangenheit zu sensibilisieren.
Finanzierung und Unterstützung der Gedenkstätten
Ein zentrales Anliegen der Gedenkstätten ist die Frage der Finanzierung. Schmid macht deutlich, dass die chronische Unterfinanzierung viele Einrichtungen an ihre Grenzen bringt. Ein Mangel an Ressourcen behindert die Umsetzung wichtiger Projekte und die Aufrechterhaltung des Bildungsangebots.
In den letzten Jahren hat die Diskussion um die Finanzierung der Gedenkstätten an Bedeutung gewonnen. Es gibt Forderungen, ein Kompetenznetzwerk zu gründen, das sich der bundesweiten Qualifizierung der Gedenkstätten widmet und die Aufarbeitung der NS-Zeit stärker in den Fokus rückt. Umfassende und nachhaltige Finanzierungskonzepte sind notwendig, um die Vision einer revitalisierten Erinnerungskultur erfolgreich umzusetzen.
Erinnerungskultur im Wandel
Die Diskussion um die Erinnerungskultur hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Schmid reflektiert, dass es einerseits wichtig ist, vergangene Verbrechen anzuerkennen und aufzuarbeiten. Andererseits ist es ebenso wesentlich, aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen zu betrachten, wie etwa den Rechtsextremismus, der in Deutschland besorgniserregend erstarkt ist.
In der Debatte um die Erweiterung der Themenfelder in der Gedenkstättenkonzeption klingt eine Frage an: Wie schaffen wir es, die Erinnerung an die Vergangenheit mit der Realität der Gegenwart zu verknüpfen? Es muss ein Gleichgewicht gefunden werden, um sowohl an die Opfer prägender geschichtlicher Einschnitte zu erinnern als auch um die für die Demokratie und Menschenrechte relevanten Themen in den Fokus zu rücken.
Wirtschaftliche und soziale Herausforderungen
Für die Gedenkstätten bedeutet der demografische Wandel erhebliche Herausforderungen. Die Suche nach Ehrenamtlichen wird zunehmend schwieriger, da jüngere Generationen seltener bereit sind, sich für die Aufarbeitung der Geschichte und das Gedenken einzusetzen.
Gleichzeitig entsteht der Druck, digitale Angebote zu schaffen, um jüngere Zielgruppen zu erreichen. Der Einsatz von modernen Technologien und Medien, um Geschichten zu erzählen und Erinnerungen lebendig zu halten, wird immer wichtiger. Gedenkstätten sind gefordert, sich diesen Veränderungen zu stellen und geeignete Konzepte zu entwickeln.
Rolle der Sozialen Medien
In der heutigen Zeit sind soziale Medien ein essenzielles Werkzeug zur Verbreitung von Informationen und zum Austausch über die Erinnerungskultur. Schmid hebt hervor, wie wichtig es ist, dass Gedenkstätten und Geschichtsorganisationen soziale Medien nutzen, um ihre Botschaften zu verbreiten und mit einer breiteren Öffentlichkeit zu kommunizieren.
Durch soziale Medien kann eine aktive Community entstehen, die sich mit Vergangenem auseinandersetzt, aber auch die Herausforderungen der Gegenwart reflektiert. Diese Plattformen bieten Raum für Diskussionen und ermöglichen es, unterschiedliche Perspektiven und Meinungen einzubinden. Dies ist besonders relevant in einer Zeit, in der die politischen und gesellschaftlichen Mängel in Deutschland verstärkt in den Fokus rücken.
Die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus
Ein weiterer zentraler Punkt der aktuellen Diskussion ist die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus. Roths Ansatz, den Kolonialismus in die Gedenkstättenkonzeption aufzunehmen, wurde von vielen gewürdigt. Dennoch stellt sich die Frage, wie und in welchem Zusammenhang diese Themen zusammenfließen sollten.
In Deutschland ist die Aufarbeitung kolonialer Verbrechen oft vernachlässigt worden, und es besteht ein dringender Bedarf, diese Geschichte in die Erinnerungskultur zu integrieren, ohne jedoch die bestehende Aufarbeitung von NS-Verbrechen und der SED-Diktatur zu schmälern.
Schlussfolgerungen aus den Debatten
Die Auseinandersetzung mit Claudia Roths Vision einer neuen Erinnerungskultur offenbart mehrere essenzielle Punkte für die zukünftige Ausrichtung. Es ist entscheidend, dass die Gemeinschaft der Historiker und Gedenkstätten weiterhin zusammenarbeitet, um die Themen der Erinnerungskultur zu formen und Ressourcen zu bündeln.
Wir leben in einer Zeit, die sich stark verändert, und die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen erfordern eine agile und dynamische Reaktion auf die Fragen der Erinnerung, der Identität und der Gerechtigkeit. Harald Schmid betont, dass die zentrale Herausforderung darin besteht, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte nicht nur Bewusstsein erfordert, sondern auch den Mut, unbequeme Fragen zu stellen und kritisch zu reflektieren.
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Tagebuch eines Betroffenen
Die letzten Wochen waren geprägt von heftigen Diskussionen und Empörung über das geplante Rahmenkonzept zu einer neuen Erinnerungskultur von Claudia Roth. Viele von uns, die sich intensiv mit der Aufarbeitung der Geschichte beschäftigen, waren betroffen und schockiert. Es war schwer zu begreifen, dass ein Konzept, das die Gedenkstättenverbände als geschichtsrevisionistisch empfanden, ernsthaft in Betracht gezogen wurde.
In den Gesprächen, die folgten, wurde deutlich, dass das ursprüngliche Ziel, die Gedenkstättenkonzeption des Bundes zu aktualisieren, in eine Richtung driftete, die wir als gefährlich erachteten. Die Idee, die Aufarbeitung der NS-Verbrechen und der SED-Diktatur gleichwertig neben andere Themen wie Kolonialismus und Demokratiegeschichte zu stellen, hat bei vielen von uns Besorgnis ausgelöst.
Besonders besorgniserregend war die Tatsache, dass in dem Konzept der notwendige Fokus auf die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen nicht nur in Frage gestellt, sondern auch nachrangig behandelt wurde. Dies bedeutete, dass die zentrale Rolle, die die Shoah in unserer Erinnerungskultur spielt, nicht mehr gewahrt bleiben könnte.
Die Rückmeldungen aus der Gedenkstättenszene waren klar: Wir brauchen eine Erinnerungskultur, die aus der Geschichte lernt und die Schrecken der Vergangenheit nicht relativiert. Die Verwirrung über die neuen Vorschläge zeigte uns, wie wichtig es ist, einen gemeinsamen Zugangsweg zu finden, der alle Facetten unserer Geschichte berücksichtigt, ohne die wesentlichen Punkte zu verwässern.
Das geplante Rahmenkonzept wurde nicht nur als unzureichend wahrgenommen, sondern auch als Rückschritt in einer Zeit, in der wir als Gesellschaft daran arbeiten müssen, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Unsere Geschichte verlangt nach einer klaren und differenzierten Betrachtung, und der Vorschlag von Frau Roth schien das Gegenteil von dem zu sein, was wir brauchen.
Die Reaktionen auf diese Diskussion zeigen uns, dass das Bedürfnis nach einer ernsthaften und respektvollen Aufarbeitung unserer Geschichte in der Gesellschaft vorhanden ist. Claudia Roth steht vor der Herausforderung, diesen Dialog anzunehmen und an einem Konzept zu arbeiten, das eine verantwortungsvolle und reflektierte Erinnerungskultur schafft.